Der Sports Monkeys Triathlon Club

Zeitreise - Laufrunde - 1990

30. August 2021ca. 9 Minuten Lesezeit

Ein Marathontraining – 1990
Wieder einmal steht ein Marathon-Wochenende vor der Tür. Diesmal im Herbst! Wie war das 1990? Der Triathlonsport in Wien in den Kinderschuhen, der Frühlingsmarathon wartete mit den schnellen Schuhen!
Tagwache 04:00 Uhr, Filterkaffee, Banane, Walnüsse, Kuchen, Miniaturportion;
Kleidung: oben Zwiebelschalensystem-kurz/lang, unten kurz, schwarz-weiße Laufkappe, dünne Handschuhe; Baumwoll-Militärsocken, Schuhe anziehen (Nike Tailwind), Haustorschlüssel…

Erste Schritte 04:40 Uhr. Finstere Nacht, windstill, 7 Grad Celsius (Brrrr, kalt),… verschlafen, aber gut drauf. Treffpunkt: Vor dem Jedleseer Steg, damals liebevoll „Pumucklbrücke“ genannt, Laufpartner und Freunde Herby H. und Herbert E. dehnen schon gegen das Brückengeländer, dass es sich fürchtet.

Morgeeen, …danach eisige Stille. Die Akteure damals noch eher Rennpferde für Arme, als langsame Ackergäule wie heute. Der die neue Donauuferautoahn begleitende Abwasserkanal, im Damm versteckt, gurgelt. Die Kanalgitter dampfen wie in einem amerikanischen Blockbuster. Freundlich formuliert liegt der Duft der Stadtrandsiedlung in der Luft. Wir traben an, Richtung Ost.

Wo damals am Fuße eines Kletterturms das Sportfachgeschäft „Schuh Schi“ thronte, herrschte im Gegensatz zu heute vor 31 Jahren entlang einer kleinen aber umso belebteren Copa Kagrana reges Treiben, sobald es nur ansatzweise Frühlingsgefühle gab. Noch bevor Inlineskater ein Ding waren, kurvten dort frühmorgens Rollschuhfahrer herum. Misstrauisch beäugt und bewitzelt von den in Trauben aus dem CA/Bank Austria-Zelt torkelnden Griechen und Hellas-Liebhabern, die eine Klangwolke von Sirtaki und Bouzouki lautstark begleitete. Lakis und Achwach waren damals schon „der“ Insider Tipp für Freunde mediterraner Klänge in Wien, ein griechisches Fest. Aus dem Z-„Zelt“ war unlängst das „Bank Austria-Zelt“ geworden, ein beliebter Veranstaltungsort: Irish Folk, Ambros, Ärzte gaben unter anderen dort gerne ein Stelldichein und Kurtologen pilgerten schon damals in großen Gruppen immer wieder in diese Kulturoase, um mit dem Dr. Ostbahn zu ordinieren. Der ganze Raum rund um die Reichsbrücke war bis auf die UNO-City noch unverbaut. Die Pontonbrücke, von wo aus Gerhard Seidl, der Gründer des TRI-Kagran, Jahre später öfter den Wien Triathlon startete, gab es noch nicht.

Sonnenaufgang zwischen UNO City und Donauturm. Wir biegen rechts ab Richtung Süd, ziehen über die Reichsbrücke. Am Mexikoplatz sehen wir einen Frühaufsteher. Ein Ladenbesitzer aus Jugoslawien oder der Türkei, der seine Ware schlichtet. Damals war die Gegend Umschlagplatz zwielichtiger Waren (z.B. gefälschte Luxusprodukte wie Uhren, Schmuck etc.), die mit der Donauschifffahrt teilweise illegal in Wien anlandeten. Einen gewissen Charme kann ich diesem Grätzl nicht absprechen. Weiter an der Marathonstrecke entlang über die Lasallestrasse, den Praterstern, danach auf die Praterstraße. Hier ist alles wieder wie ausgestorben. Nur vereinzelt Überbleibsel der Nacht und Hundebesitzer, die ihren vierbeinigen Lieblingen etwas Gutes tun wollen.

Beim jetzt erneut in Betrieb befindlichen Hamakom Theater im Nestroyhof links ab, in die Tempelgasse rein an der Synagoge vorbei, bis wir am Donaukanal anstehen. Stiegen runter zum Wasser, den Donaukanal weiter Richtung Prater. Wir sehen einige gut gelaunte männliche jüdische Mitbürger in traditioneller schwarzer Tracht mit Hut und langen Locken über den Schläfen, einer davon ein offenes Buch in der Hand. Jetzt laufen wir direkt der noch tiefstehenden Sonne entgegen, während schräg hinter uns wie vom Scheinwerfer beleuchtet die Urania glänzt. Daneben mündet der Wienfluss in den Donaukanal. Das Uniqa Direktionsgebäude mit der tollen LED-Lichtfassade gegenüber der Urania gab es noch nicht.

Die langärmligen Jacken werden von uns im Lauf ausgezogen und um den damals noch nicht vorhandenen Bauch fixiert. Es läuft jetzt schon ausgesprochen gut! Der Schmäh rennt ebenfalls und über uns ziehen laut krakeelende Möwen ihre Kreise. Beim Vereinslokal (LCC) vom legendären Dolfi Gruber verlassen wir als Linksabbieger den Kanal, ziehen eine kleine Schleife um die Bildhauerwerkstatt vom MAK und am Blindeninstitut vorbei. Keine 5 Minuten später laufen wir schon auf der Hauptallee, damals ebenfalls schon Teil der Wien-Marathon Strecke. Zuerst vorbei an der heutigen Monkey Arena. Weiter. An der linken Schulter zieht das Praterstadion vorbei. Ernst Happel rauchte noch wie eine Lokomotive und er erreichte damals mit Wacker Innsbruck seine letzten Titel. Kurz danach übernahm er dann das ÖFB-Team und erlag Jahre später dem Lungenkrebs. Nach Jahren wurde das Wiener-Stadion dann nach ihm benannt.

Inzwischen bevölkern schon einige Läufer die Prachtstraße. Beim Lusthaus am Ende der Hauptallee biegen wir links ab in die Aspernallee hinein. Am linken Straßenrand eine parkenden Autokolonne. Auffallend viele USA Fahnen und Wimpel in den Fahrzeugen. Einem Bienenstock ähnlich krabbelt Groß und Klein aus den Fahrzeugen.
Schläger, Fanghandschuhe, Helme. Alles strömt auf die Grünfläche neben den Fahrzeugen. Amerikanischer Slang weht zu uns rüber. …US-Amerikaner, Baseball!

Am Ende der Aspernallee biegen wir rechts ab, überwinden die Gleisanlage der Hafenbahn, sehen vor uns die Donau und laufen an der buddhistischen Friedenspagode vorbei, um sie rum, wir wenden. Nicht nur Japaner, aber auffallend viele Asiaten, denken hier immer wieder an den Atombombenabwurf auf Nagasaki. Heute ist noch wenig los da. Einige Jahre später wird man von hier aus schon das Kraftwerk Freudenau sehen können. Ein Windrad wird sich drehen…aber wir sehen außer gähnender Leere nur alte Bunkeranlagen aus dem 2. Weltkrieg. Das Kraftwerk Freudenau gibt es noch nicht, nicht einmal eine Baustelle…

Das Scandic-Crown Hotel, das 1988 eröffnet wurde und das jetzt Vienna Hilton heißt, war ursprünglich ein städtischer Getreidespeicher, der noch nach Ansage von Kaiser Franz Josephs Architekten errichtet wurde. Es ist zwar schon in Betrieb, aber die Großbaustelle hat noch Absperrungen. Heute nächtigen dort unter anderem Fußballteams samt zahlungskräftigen Fans, wenn es im Happel Stadion eng wird. Wir Schoitln (außerhalb Wiens auch Dodeln genannt) haben bei der Routenwahl vollkommen auf die Baustelle vergessen, die ein Durchkommen dort unmöglich macht. Hotelparkplatz oder Schiffsanleger waren da scheinbar noch in Arbeit. Also wieder ein Stück zurück und über die Tangentenbrücke. Richtung Norden über Donauinsel und die Entlastungsrinne gleich weiter ans andere Ufer. Danach links weg und beim Wehr 1, wo sich heute die Sprungschanzen und der Wasserschilift befinden, vorbei jetzt nach Westen, Richtung Kaisermühlen.

Die Glykogenspeicher von uns sind inzwischen fast vollständig geleert, anteilig wurden seit kurzem vermehrt die Fettreserven angezapft, daher ist unsere Durchschnittsgeschwindigkeit nur mit enormer Willensstärke und Kraftaufwand aufrecht zu erhalten. Trotzdem geht jetzt so richtig die Post ab. Gegenüber vom rosafarbigen Gemeindebau (damals noch grau), der durch die später ab 1992 hier gedrehte Fernsehserie „Kaisermühlenblues“ bekannt wurde, befinden sich allerdings schon damals Spielplätze unmittelbar auf der erst vor kurzem fertiggestellten Überplattung der Donauuferautobahn über dem Kaisermühlentunnel.

Sehr groß gewachsene Schwarzafrikaner spielen gegen ein Mixed Team von weißen Junioren, die durchwegs einen Kopf kleiner sind, ein Basketball Match. Ein detailverliebter und aufschlussreicher Blick reicht aus um festzustellen, dass das Gästeteam schwarz um Klassen stärker ist. Gerne hätten wir uns das Spielchen länger angesehen. „Wenn wir jetzt stehen bleiben, müssen wir aber gleich klären wer das Taxi ruft…“ Die damaligen Handtelefone waren noch nicht so trainiert dass sie uns beim Laufen begleiten hätten können. Somit war der Gedanke sofort wieder verworfen. Bis jetzt schwächelt noch keiner von uns. Weiter geht es unter der Reichsbrücke durch am Schuh Schi vorbei.

So schließt sich der Kreis. Vorbei an der Läufer-Bronzestatue mit Sony-Walkman (eine Gerät mit dem man portabel Musikcassetten abspielen konnte). Ein Dreibein aus Zinkblechrohren, an dem ein Baum mit der Wurzel nach oben schwebte, stand direkt daneben. Archaische Kunst im modernen Wien, sicher billig. Das Ding übersiedelte später in die Nähe vom Schulschiff, der am Kopf stehende Baum, der im Gestell hing ist scheinbar schon irgendwo verheizt worden. Rechts wieder das Z/Bank Austria-Clubzelt, das es inzwischen schon lange nicht mehr gibt.

Damals befand sich übrigens der Wien-TRI Start genau hier in der Brigittenauer Bucht, die wir gerade passieren! Von dort aus wurden die beiden Brückenpfeiler der Reichsbrücke in der Entlassungsrinne umschwommen.

Weiter geht es am Bruckhaufen vorbei, am Islamischen Zentrum, der Moschee, die „Mörtel“ Richard Lugner um 1980 fertigstellte. Sie ist schon im Vollbetrieb. Verschleierte arabische Schönheiten pendeln zwischen Bethaus und Brigittenauer Bucht, und ihre männlichen Begleiter entdecken die tadellosen Örtlichkeiten im Umfeld, um feines Lamm zu grillen. Heute noch hängen in den Sommermonaten Rauchwolken von unzähligen Feuerstellen in der Luft. Nach Fertigstellung der U6 wurde es in diesem Grätzl noch dichter.

Auf einmal sind wir zu viert. Laszlo T., ein starker Triathlet aus Ungarn, der schon einige gute Platzierungen beim Wien-TRI erzielte, schließt sich spontan der Gruppe an. Er studiert in Wien und man kann ihn getrost als Spitzenathlet bezeichnen. Sein Name war uns von diversen Ergebnislisten bekannt. Er erzählt uns in gebrochenem Deutsch seine Geschichte, während wir, die jetzt schon drei Stunden unterwegs waren, uns wie Seicherln fühlen.

Unglaublich, dass wir so eine lange Strecke ohne Getränke zurücklegten. Trotz der niederen Temperaturen und der frühen Startzeit. Ein Dreistundenlauf ohne Flüssigkeit ist heute für mich undenkbar. Damals war das Verzichten auf Nahrungsaufnahme in Mode unter Langstreckenläufern, wenige Jahre später kippte das genau ins Gegenteil.
Laszlo bog in den Wasserpark ab und wir ahnten damals noch nicht, dass hier Jahre später ein großes Hochhaus entstehen würde. Der Florido Tower! Millennium Tower und das Schulschiff gab es 1990 auch noch nicht.

Am wenigsten dachte ich daran, diese Laufrunde einmal niederzuschreiben. Die Internationalität und das kooperative, wohlgesonnene Zusammenleben der aus allen Teilen der Welt stammenden Menschen hier in unserer Stadt, haben mich damals wie heute beeindruckt. So intensiv hab ich das allerdings gestern wie heute noch nie empfunden wie bei diesem Dauerlauf im Frühling 1990. Unlängst hab ich meine Trainingsaufzeichnungen aus dieser Zeit durchgeblättert und dachte, vielleicht interessiert euch das…

Wenn ihr Affen so eine ähnliche Einheit am Trainingsplan stehen habt, lasst es mich wissen. Ich begleite euch dann mit dem Fahrrad;)

Euer Silberrücken

Hier geht es zur Serie "Historisches: Marathon1-3":
https://tri.sportsmonkeys.at/news/?id=111
https://tri.sportsmonkeys.at/news/?id=102
https://tri.sportsmonkeys.at/news/?id=131

Rudi Hummel
geschrieben von Rudi Hummel

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