Targetpace 7:00
Februar 2022: Ich war mitten in der Vorbereitung auf meinen ersten Marathon…
… als ich in einem Podcast erstmals von einem Backyard Ultra (BYU) hörte. Eine Runde ist 6.706 Meter; Start zu jeder vollen Stunde; wer die letzte Runde läuft, gewinnt. 7 Runden sind länger als ein Ultramarathon, 15 Runden 100 Kilometer, 24 Runden 100 Meilen (daher auch die ungerade Distanz). Bei einer Targetpace von 7:00 min/km bleiben jede Stunde rund 13 Minuten für Essen, Trinken und Erholung. Der Marathon 2022 war noch nicht gelaufen, aber die 15 Runden bzw. 100 km waren bereits als Ziel verinnerlicht.
Oktober 2025: Mein erster Backyard Ultra in Seekirchen am Wallersee steht am Plan. Einerseits will ich das Format ausprobieren, andererseits soll er als Vorbereitung auf die halbe G’schicht beim Wien Rundumadum (WRU) dienen. Ziel: 8 Runden (53,6 km). Nach dem Wachaumarathon erscheint mir das als logische Zieldistanz.
Nach der Startnummernabholung wird ein Foto für die Teilnehmerwand gemacht. Wer aufhört entfernt sein Foto. So sieht man jederzeit, wer noch im Rennen ist. Als ich knapp eine Stunde vor dem Start am Wettkampfgelände eintreffe, wird mir schnell klar, dass ich mit nur einen Rucksack für Gels, Riegeln und Wechselkleidung verhältnismäßig schlecht ausgestattet bin. Andere haben Zelt, Kochplatte, Masseur und Physio dabei.
Start ist pünktlich um 9 Uhr. Eine flache Pendelstrecke führt entlang des Seeufers und wieder zurück zum Strandbad Seekirchen. Nach 300 Metern warten die ersten beiden Höhenmeter auf die Teilnehmer. Auf mich wartet das erste große Learning: Wenn die Steigung 0,5% übersteigt, wird gegangen – immer! Nur ein paar Übermotivierte laufen hier. Der Großteil der Laufstrecke ist so eng, dass man weite Teile nur in Zweierreihe laufen kann. Das hat den Vorteil, dass man nicht überpacen kann. Man konzentriert sich nur mehr auf die Beine des Vordermanns bzw. der Vorderfrau und versucht Steinen und Kuhfladen auszuweichen. Dass man beim Laufen schon mal in Trance verfällt und alles rundherum verschwindet, ist bekannt. So schnell wie hier passiert mir das selten. Alle Versuche, mit Meditation ähnliche Zustände zu erreichen, sind bisher gescheitert. Nach jeder Runde trinken und essen (ein Gel oder einen halben Riegel, 1-2 Stück Kuchen), pünktlich zur vollen Stunde läutet die Glocke die nächste Runde ein. Schon in der ersten Runde ist mir klar: Das werden heute keine 8 Runden – das schreit förmlich nach 10, WRU hin oder her.
Nach der 6. Runde, ich sitze auf einer Bank und blicke auf den in der Herbstsonne liegenden See, realisiere ich, dass wir bereits seit 6 Stunden unterwegs sind. Die ersten 40 km vergingen wie im Flug, unvorstellbar wenn man bedenkt, wie sich eine 10 km-Einheit manchmal ziehen kann.
Dass es doch kein Flug war, zeigt der Start in die 7 Runde. Das Loslaufen ist ungewöhnlich mühsam und mir wird klar, dass die 40 km doch nicht so spurlos an meinen Beinen vorübergezogen sind. Leichte Zweifel, ob das mit den 10 Runden so eine gute Idee ist, kommen auf. Sie verfliegen aber wieder, sobald sich das Feld geordnet hat und ich gedankenverloren am Laufen bin.
Nach der 7. Runde gibt es erstmals Suppe, dazu einen halben Liter Cola – meine Beine fühlen sich wie neu geboren. Alle Zweifel sind vergessen, es läuft wieder bestens. Als kleinen Anreiz tischen die Veranstalter nun jede Runde neue Köstlichkeiten auf: Nach Runde 8 gibt es Käsetoast, nach Runde 9 Pizza, dazu die üblichen Dinge wie Obst, Kuchen usw. Warum sollte man nun aufhören ????.
Nach 10 Runden lasse ich der Vernunft den Vortritt. Nach knapp 10 Stunden nehme ich überglücklich mein Foto von der Teilnehmerwand und hole mir die DNF-Medaille ab. Während das verbleibende Feld (immer noch 122 von 229 StarterInnen!) mit Stirnlampen und Warnwesten in die kühle Nacht startet, fülle ich meine Flaschen ein letztes Mal mit Suppe und Cola, nehme Pizza soviel ich tragen kann und setze mich nochmals auf „meine Bank“ mit Blick auf den See.
Ob die 15 Runden heute schon möglich gewesen wären? Schwer zu sagen, wie die Dunkelheit und die nun doch recht kühle Herbstnacht sich auf die Psyche ausgewirkt hätten. 15 Runden und damit 100 km sind in diesem Format definitiv nichts Unerreichbares. Wäre ich sie hier gelaufen, hätte ich für 2026 kein sportliches Ziel.
Gewonnen hat Bernhard Herzog mit 34 Runden (228 km), 10 StarterInnen liefen zumindest 100 Meilen, 70 liefen mehr als 100 km, 36 von 229 StarterInnen liefen genau 15 Runden (100 km).
Mein Resümee zum BYU: Man kann sehr viel länger laufen als man denkt. Meine bisherigen Marathons waren alle deutlich anstrengender als die 67 km hier. Noch mehr als beim Marathon entscheidet beim BYU der Kopf, wann Schluss ist.
Obwohl die Teilnehmerzahlen bei BYUs in den letzten Jahren schon recht schnell gewachsen sind, könnte gerade im DACH-Raum ein echter Hype bevorstehen, befeuert von diversen Influencern. Kim Gottwald konnte bei seinem Sieg beim Last Soul Ultra in Bornheim (NRW, DE) in 67 Runden (448 km) 100.000 neue Follower auf Instagram gewinnen.
Aktuell sind für 2026 vier Bewerbe in Österreich ausgeschrieben – 3 davon sind bereits ausgebucht (zuletzt Kirchberg in Tirol innerhalb von 72 Stunden ausverkauft). Weitere sollten noch kommen.
Der Vorteil eines BYU ist, dass jeder „seine“ Distanz findet. Für Ultraläufer hat er u.a. den Vorteil, dass er logistisch sehr viel einfacher ist als ein Lauf über 100 km oder 100 Meilen. Letztlich ist er aber aufgrund der erzwungenen Pausen und der unbekannten Renndauer aber ein komplett anderes Rennformat als Ultraläufe oder Trailläufe es sind.
Abschließend noch eine Anmerkung zum Thema „Hilfsmittel“: Kim Gottwald hat eigenen Angaben zufolge 8.000 mg Ibuprofen eingenommen (empfohlene Tagesdosis 1.200-2.400 mg). Meine Meinung dazu ist klar: Sollte ich Schmerzmittel brauchen, um weitermachen zu können, ist mein Rennen vorbei. Allerdings geht es bei mir nur um die heiß umkämpfte goldene Ananas oder Banane. Wenn es um Sponsorengelder, Stories oder Medaillen geht, sieht man dieses Thema vielleicht anders. Diese Entscheidung muss jeder Teilnehmer bzw. jede Teilnehmerin für sich beantworten.